Auswirkungen auf Geburtsvorbereitung und auf Wochenbett der Frauen

Überreichnung Unterschriften der Online-Petition in Berlin
"Es braucht jetzt eine politische Lösung" / Schäden sind teurer und langwieriger geworden
VON SVENJA KRACHT

Minden (mt). Etwa 45 Kinder kommen im Jahr im Geburtshaus Porta zur Welt. Wenn freiberuflich tätige Hebammen nicht mehr arbeiten dürften, müssten diese Babys im Krankenhaus geboren werden. Doch nicht nur für die Geburtshilfe an sich hat die Entscheidung der Versicherer Auswirkungen.

Hebammen, Mütter und Großmütter gehen in diesen Tagen auf die Straße, um zu protestieren.
Für Schwangere würde das nicht nur bedeuten, dass sie sich ab Juli 2015 die Hebamme für die Geburt ihres Kindes nicht mehr frei aussuchen könnten, es beträfe auch die Betreuung in der Schwangerschaft und innerhalb des Wochenbettes in den ersten zwei Monaten nach der Entbindung.

"Für Frauen ist neben einer medizinischen Betreuung auch eine psycho-soziale Vorbereitung wichtig. Die Ärzte haben wenig oder keine Kapazitäten, Fragen zur Ernährung in der Schwangerschaft oder zum Baden des Babys zu beantworten", sagt Daniela Wandel, Kreisvorsitzende des Hebammenverbandes.

Lediglich fest angestellte Hebammen in Krankenhäusern können ohne die Haftpflichtversicherung weiter arbeiten, da diese über das Krankenhaus versichert sind. Aber auch sie sind betroffen, denn "viele von ihnen arbeiten nur zu 25 oder 50 Prozent als Angestellte im Krankenhaus und sind ansonsten freiberuflich tätig", weiß Daniela Wandel.

Nachdem die Existenzgefährdung der Hebammen mit der Ankündigung der Nürnberger Versicherungen seit Kurzem konkret geworden ist, versuchen Hebammen, Mütter, Großmütter und auch Ärzte auf diese Situation aufmerksam zu machen. Die Online-Petition einer Mutter hatte bis gestern bereits mehr als 300000 Unterschriften. Die Petition fordert Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe auf, zu handeln. "Es braucht jetzt eine politische Lösung", sagt Daniel Wandel. Dazu gehöre der Beschluss, die Haftbarkeit von 30 Jahren zu verkürzen. Außerdem sollten die Regressforderungen gedeckelt werden.

Zahl der Alleingebärenden würde wohl steigen

"Das heißt konkret, dass nicht ausschließlich der, der den Schaden verursacht hat, dafür bezahlen muss", erklärt Susanne Lüderitz, Hebamme im Portaner Geburtshaus. Ein Gemeinschaftsfonds wäre möglich, in den jede Hebamme pro Monat einen geringen Betrag einzahlt. "Aus diesem Topf könnten dann Schadensersatzzahlungen beglichen werden", sagt Daniela Wandel.

Wenn die freiberuflichen Hebammen nicht mehr arbeiten können, werden nicht nur die Wege in ein Krankenhaus zur Entbindung weiter, die Zahl der Alleingebärenden würde nach Meinung von Susanne Lüderitz und Daniela Wandel auch beträchtlich steigen, denn viele Frauen hätten Angst, in ein Krankenhaus zu gehen: "Manche sagen sich dann, dass eine Geburt auch früher ohne Arzt funktioniert hat. Das ist sehr gefährlich für Mutter und Kind."Die beiden Hebammen hoffen zwar, dass sich an der derzeitigen Versicherungs-Lage noch etwas ändert, aber "ich bin mir nicht sicher, ob das von der Politik überhaupt gewollt ist", gibt Daniela Wandel zu.

"Das Thema mit den Versicherungen beschäftigt uns schon seit Jahren", sagt Daniela Wandel. Nach und nach sind in den letzten Jahrzehnten verschiedene Versicherungsgruppen von der Haftpflicht für Hebammen abgesprungen.

Die Unternehmen, die noch versichert haben, erhöhten ihre Beiträge von Jahr zu Jahr. Eine Hebamme muss im Jahr bei mindestens sieben Schwangerschaften Geburtshilfe leisten, um allein den Versicherungsbeitrag finanzieren zu können.

Risiko ist für Versicherer schwer kalkulierbar

Doch warum ist eine Haftpflichtversicherung für Hebammen so teuer geworden? "Es gibt nicht mehr Geburtsschäden als früher. Aber die Behandlung und Pflege nach schweren Komplikationen werden immer vielfältiger, andauernder und letztlich teurer", heißt es von der Nürnberger Versicherungsgruppe auf MT-Nachfrage. Auch Einkommen, das das geschädigte Kind nicht erzielen kann, müsse vom Versicherer ausgeglichen werden. Hinzu kommt, dass eine Hebamme bis zu 30 Jahre nach der Geburt des Kindes für einen entstandenen Schaden haftbar gemacht werden kann.

Die Folge für Versicherer sei, dass Geburtsschäden ein extrem schwer zu kalkulierendes Risiko darstellten, das in der Vergangenheit zum Teil zu erheblichen Verlusten geführt habe.

"Zu den Schäden können Sauerstoffmangel oder Verletzungen des Kindes zählen", sagt Susanne Lüderitz. Die Hebamme müsse bei einer Geburt alles wahrnehmen, sei es ein Unwohlsein der Mutter, des Kindes oder mögliche Komplikationen.
Haftpflichtversicherung für Hebammen
Hebammen müssen eine Berufshaftpflichtversicherung haben, um arbeiten zu können. Die Beiträge sind seit der Jahrtausendwende von 404 Euro auf mehr als 4200 Euro gestiegen. 2014 folgt eine weitere Steigerung auf 5091 Euro. Für 2015 gibt es noch keine Verträge.

Nach Angaben der Versicherungswirtschaft ist nicht die Zahl der Schadensfälle, wohl aber die Schadenssumme gestiegen - bei schweren Geburtsschäden 2003 bis 2012 um 80 Prozent. Durchschnittlich leistet der Versicherer 2,6 Millionen Euro.

Einen großen Anteil am Schadensaufwand bilden Regressforderungen der Sozialversicherungsträger. Beispielsweise fordern Krankenversicherungen Heilbehandlungskosten zurück.

Bei Personenschäden gilt eine Verjährungsfrist von 30 Jahren, das Risiko lässt sich für Versicherungen also nur schwer kalkulieren. Dank des medizinischen Fortschritts steigt auch die Lebenserwartung Schwerstgeschädigter. Pflege- und Therapiekosten fallen also für einen deutlich längeren Zeitraum an.

Zwischen 2008 und 2010 haben sich laut Deutschem Hebammenverband 25 Prozent der freiberuflich in der Geburtshilfe tätigen Hebammen zurückgezogen. Die Daten beruhen auf einer Umfrage, Statistiken zum Tätigkeitsfeld gibt es nicht. (hwa)
Dokumenten Information
Copyright © Mindener Tageblatt 2014
Dokument erstellt am 28.02.2014 um 23:09:57 Uhr
Letzte Änderung am 01.03.2014 um 01:48:38 Uhr

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